Mitarbeiterfluktuation stellte eine der zentralen Herausforderungen für Human Resources (HR) in 2022 dar.
Der Fachkräftemangel und die hohe Nachfrage nach Talenten auf dem Arbeitsmarkt befeuern diese Entwicklung. In diesem Jahr rechnen Experten mit einer Wechselrate von über 30 Prozent. Daraus resultieren immense Kosten sowie Produktivitätsverluste für Unternehmen. Mitarbeiterbindung fungiert somit als eine erfolgskritische, strategische Aufgabe für HR-Abteilungen. Doch wie lässt sich ein erfolgreiches Retention-Programm aufsetzen?
Was ist Mitarbeiterbindung?
Mitarbeiterbindung ist ein zentrales Aufgabenfeld von HR-Abteilungen, um Talente langfristig an das Unternehmen zu binden. Die Elemente der Mitarbeiterbindung lassen sich hierbei in interne und externe Faktoren klassifizieren:
Interne Faktoren:
- Rationale Bindung: Vergütung, Arbeitszeitmodelle, Benefits
- Emotionale Bindung: Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten, Identifikation mit dem Unternehmen, Wertschätzung
- Normative Bindung: Unternehmenskultur, Unternehmenswerte, Purpose
- Perspektivische Bindung: Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterbildungsprogramme, Verantwortung
Externe Faktoren:
- Konjunktur: Gute Konjunktur = bessere Chancen am Arbeitsmarkt = Alternativen
- Trends: Höhere Attraktivität von Arbeitgebern, die Trendthemen wie bspw. Nachhaltigkeit verkörpern
- Politische Entscheidungen: durch Gesetzgebung und regulatorische Vorgaben hinsichtlich des Themas Scheinselbstständigkeit
Was passiert, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen?
Mitarbeiterfluktuation hat auf ein Unternehmen verschiedenste Einflüsse: Zunächst einmal entstehen für das Unternehmen bei Kündigung eines Arbeitnehmers Kosten.
Direkte Kosten entstehen durch den administrativen Aufwand des Kündigungsprozesses, durch den Zeit- und Kostenaufwand für die Nachbesetzung sowie für das Onboarding und die Einarbeitung des neuen Mitarbeitenden. Zusätzlich entstehen indirekte Kosten in der Form von Wissens- sowie Produktivitätsverlust, deren volles Ausmaß teils gar nicht exakt quantifizierbar ist.
Außerdem hat Fluktuation auch immer eine große Auswirkung auf die Teamdynamik und die Motivation im Team. Eine ungewollt hohe Fluktuation wird sich negativ auf die Stimmung der Gruppe auswirken sowie Unsicherheiten und Bedenken fördern. Eine gewünschte regelmäßige Fluktuation kann hingegen frischen Wind und neue Impulse bringen.
One Fits All vs. Everybody’s Darling
Wie bei so vielen Themen gilt auch in Bezug auf die Strategie für ein Retention-Programm: Es gibt kein Patentrezept. Je nach Branche und Reife des Unternehmens eignen sich unterschiedliche Ausgestaltungen der Elemente der Mitarbeiterbindung. Somit können Maßnahmen, die für ein Unternehmen Sinn ergeben, für ein anderes keinerlei Wirkung zeigen oder sogar kontraproduktiv sein.
Zudem hat das jeweilige Geschäftsmodell Auswirkungen auf die Höhe der gewünschten Fluktuation. So fußt beispielsweise der Business Case einer Unternehmensberatung darauf, dass Mitarbeitende der unteren Level im Verhältnis zu ihrem Gehalt hohe Stundensätze einbringen, wohingegen die Marge der oberen Levels weit niedriger ist. Hier ist somit eine recht hohe Fluktuation explizit gewünscht, da sich das Modell sonst nicht tragen würde.
„One Approach Fits all“ gilt bei der Betrachtung eines Unternehmens genauso wenig in Hinblick auf die verschiedenen Teams im Unternehmen sowie auf die einzelnen Arbeitnehmer. Hier ist es empfehlenswert, die Bedürfnisse eines jeden zu verstehen und ein individuelles Paket zusammenzustellen. Die große Herausforderung ist folglich auf der einen Seite einen Standard zu etablieren und auf der anderen Seite dennoch Individualbedürfnisse zu berücksichtigen.
Daten, Daten, Daten
Im Resultat wird der Aufsatz eines Retention-Programmes zu einer sehr komplexen und vielschichtigen Angelegenheit, die eine umfassende Analyse und Erhebung verschiedenster Daten voraussetzt. Wichtig ist, wie generell bei strategischen Themen, dass die Entscheidungsfindung nicht subjektiv durch einzelne Entscheidungsträger, sondern daten- und faktenbasiert erfolgt. Folgende Schritte empfehlen sich hierbei zu gehen:
- Analyse des Geschäftsmodells sowie der Zielrichtung der übergreifenden Unternehmensstrategie und Ableitung der Implikation auf das Thema Mitarbeiterfluktuation
- Erhebung der externen Faktoren, die Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung haben, unter Berücksichtigung von Branche und Geschäftsmodell
- Durchführung einer anonymisierten Befragung der Mitarbeitenden zu
- bislang vorhandenen Bindungs-Elementen (inkl. der Erhebung möglichst detaillierter statistischer Daten wie Abteilung, Level, Betriebszugehörigkeit, Alter und Geschlecht)
- möglichen neuen Bindungs-Elementen
- Bildung sinnvoller Peer-Groups und Priorisierung der jeweiligen Maßnahmen
- Schaffung eines Spielrahmens für die Individualisierung der Maßnahmen je Mitarbeitenden
- Aufsatz eines Implementierungskonzeptes inkl. Change-Management und einer umfassenden zielgruppengerechten Kommunikation
HR als zentrale Strategieeinheit des Unternehmens
Das Thema Mitarbeiterbindung ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark sich die Rolle der HR-Abteilungen in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Wo HR in der Vergangenheit oftmals als rein administrative Einheit galt, wird sie immer stärker zu einer der wichtigsten strategischen Stellschrauben für den Unternehmenserfolg.
Dies hat die Auswirkung, dass die Mitarbeitenden der HR-Abteilung über umfassende Strategiekenntnisse verfügen müssen und darüber hinaus eine enge Verknüpfung zwischen HR und der Unternehmensstrategie erforderlich ist.
Neben strategischen Kompetenzen erfordert effektives HR-Management zudem, dass die HR-Einheit stark datengetrieben arbeitet und umfassende Kenntnisse über die Bedürfnisse sämtlicher Mitarbeitenden eines Unternehmens aufbaut. Denn die Effektivität des HR-Managements wird eine immer größere Rolle für den Erfolg von Unternehmen einnehmen.
Angelika Birk | Co-Founder & CEO bei GREWP